JuLis lehnen Vorratsdatenspeicherung weiterhin in jeder Form ab

Wie der Deutschlandfunk unter Berufung auf das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete [1], arbeitet die Bundesregierung offenbar doch an einer Neuauflage der anlasslosen Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten deutscher Bürger. „Hintergrund sei eine Auskunft der EU-Kommission, wonach diese zunächst keine neue Richtlinie vorlegen werde.“ Es wird berichtet, Thomas de Maizière und Heiko Maas könnten sich auf einen Kompromiss einigen, „Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten auszunehmen“.

Die JuLis Karlsruhe lehnen die anlasslosen Speicherung von Telekommunikationsdaten unbescholtener Bürger in dieser, wie in jeder anderen Form, nach wie vor vehement ab.

Nachdem das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2010 die damaligen deutschen Regelungen im Telekommunikationsgesetz (TKG) als unvereinbar mit dem deutschen Grundgesetz [2] und der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2014 die zugrundeliegende Richtlinie 2006/24/EG als unvereinbar mit der Europäischen Grundrechtecharta [3] erklärt hatten, scheint die EU-Kommission spät aber doch zu der vernünftigen Einsicht gekommen zu sein, dass eine anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten unbescholtener Bürger der falsche Weg, und eine grundrechtskonforme Umsetzung kaum möglich ist. Umso verstörender ist es, wenn die deutsche Bundesregierung nun erst recht an dieser Maßnahme festhält.

Die Möglichkeit, sich unbeobachtet zu informieren und Meinungen auszutauschen, sind essentielle Freiheiten der Bürger in einem freiheitlich demokratischen Staat und unverzichtbar für das Funktionieren einer freien Gesellschaft. Daher lehnen wir jede Maßnahme, die diese Freiheiten infrage stellt, aufgrund grundsätzlicher Überzeugungen und auch ohne konkrete juristische Hindernisse ab.

Wir sind erfreut, dass unsere in Deutschland und Europa verfassungsmäßig gesicherten Rechte diese Auffassung teilen und schützen. Wir bedauern es sehr, dass einige Politiker dazu übergegangen zu sein scheinen, im Bereich der Grundrechte stets bis an das Äußerste des verfassungsrechtlich Erlaubten zu gehen, und verfassungsrichterliche Zurechtweisungen allenfalls schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, um sogleich einen neuen Anlauf zu starten, die zurückgewiesene Maßnahme im Wesentlichen doch noch durchzusetzen. Dieses „Katz’ und Maus“-Spiel mit dem Grundgesetz ist zutiefst verwerflich. Die der Politik gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen sollten jedem verantwortungsvollen Politiker oberste Maßgabe seines politischen Handelns sein. Einem richterlich bescheinigten Verstoß dagegen sollte mit Reue und Einsicht begegnet werden. Wir denken, dass wir nichts Unmögliches verlangen, wenn wir von unseren Politikern im Umgang mit dem Grundgesetz dasselbe fordern, wie es jedem Fahrschüler im Umgang mit der Straßenverkehrsordnung beigebracht wird: Im Zweifel defensiv verhalten.

Deutschland sollte in der EU Vorreiter beim Schutz der Bürgerrechte sein, anstatt in reaktionärer Weise krampfhaft an einem auf allen Ebenen gescheiterten und von vorneherein falschen Konzept festzuhalten.

Der momentan anscheinend diskutierte Kompromiss „Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten auszunehmen“, tut unserer Kritik keinen Abbruch und zeigt vielmehr das fragwürdige Menschenbild dieser Bundesregierung. Anstatt die Freiheit des Individuums zu schützen, sorgen sich die Minister allenfalls um Berufsgeheimnisträger. Die bürgerlichen Freiheiten stehen jedem Menschen unmittelbar zu, und müssen nicht erst staatlich zuerkannt werden. Die Rechte von Anwälten und Ärzten sind nicht mehr und nicht weniger wert, als die jedes anderen Bürgers. Offenbar herrscht in der Bundesregierung die Vorstellung, der „Normalbürger“ habe nichts zu verbergen zu haben, und solle sich bei Fragen an seinen Arzt oder Anwalt wenden, anstatt sich selbst zu informieren. Dieses Menschenbild der Unselbständigkeit und Unmündigkeit des Einzelnen ist für uns JuLis inakzeptabel. Wir wissen, worüber und woraus wir uns informieren möchten, mit wem wir uns austauschen wollen und wer davon mitbekommen soll, und wer nicht. Dazu gehören auch Quellen und Kommunikationspartner, von denen es der Regierung möglicherweise lieber wäre, wenn wir sie nicht in Anspruch nehmen würden. Wir fordern, dass uns dieses Recht vorbehaltlos und persönlich zugestanden wird. Wenn wir professionelle Beratung, etwa durch einen Rechtsanwalt, wünschen, nehmen wir sie gerne in Anspruch. Wenn wir sie nicht wünschen, wollen wir von unseren Freiheiten keine Abstriche machen müssen.

Da unser Vertrauen in die Regierung in dieser Frage äußerst gering ist, empfehlen wir besorgten Bürgern neben politisch-gesellschaftlichem Protest gegen die Pläne der Bundesregierung, sich ihrerseits auf diese unerfreuliche Entwicklung vorzubereiten und mit dezentralen Technologien zur Zensur- und Überwachungsumgehung wie Nachrichtenverschlüsselung und Onion-Routing [4] vertraut zu machen. Wir rufen die Betreiber von Internetdiensten dazu auf, ihre Benutzung über solche Technologien zu erleichtern.

Fußnoten:

  1. Vorratsdatenspeicherung: Regierung arbeitet offenbar doch an einem Gesetz. Deutschlandfunk, 7. März 2015, http://www.deutschlandfunk.de/vorratsdatenspeicherung-regierung-arbeitet-offenbar-doch-an.353.de.html?drn:news_id=459834.
  2. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 – 1 BvR 256/08, https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20100302_1bvr025608.html.
  3. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 2014 – C‑293/12 und C‑594/12, http://curia.europa.eu/juris/celex.jsf?celex=62012CJ0293.
  4. Seite „Onion-Routing“ in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Onion-Routing, abgerufen am 7. März 2015.