Wer eine Debatte aufrichtig führen will, hat sich ihr als allererstes zu stellen. Das bedeutet insbesondere, die betroffenen Werte anzuerkennen. Mir ist schlecht von Diskussionen, in denen die Frage "Freiheit versus Sicherheit" vermeintlich geklärt werden soll. Wer glaubt, dass am Ende einer solchen Debatte stehen könnte, dass entweder die Freiheit oder die Sicherheit das höhere Gut wären, hat in fundamentaler Weise nicht verstanden, auf welchen Werten und Prinzipien die Bundesrepublik gegründet ist. Politiker, die versuchen, beliebige Eingriffe in elementare Freiheitsrechte mit der lapidaren Behauptung zu rechtfertigen, dass sie der Sicherheit dienlich seien, ignorieren den Auftrag, den ihnen das Grundgesetz gibt, und sind schlichtweg untauglich, Verantwortung für dieses Land zu tragen. Dabei ist aber schon die Grundannahme, dass Freiheit und Sicherheit sich inhärent in einem unauflösbaren Konflikt befänden, falsch. Die sichersten Länder dieser Welt sind keineswegs diejenigen, in denen die Freiheit am wenigsten gilt. Schon gar nicht sind die unfreisten Länder die sichersten. Allenfalls das Gegenteil könnte vielleicht zutreffend sein. Dass dem so ist, mag allenfalls den Anhängern eines Menschenbildes, das dem des Liberalismus ferner nicht sein könnte, als ein vermeintliches Paradoxon erscheinen. Die irrige Annahme, dass Freiheitsbeschränkungen automatisch zu mehr Sicherheit führen würden, hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass eine Reihe von Maßnahmen beschlossen wurde, die nicht nur schwerwiegende Grundrechtseingriffe darstellen, sondern auch mitnichten einen sinnvollen Beitrag zur allgemeinen Sicherheit leisten, und im Gegenteil die Bevölkerung in unverantwortlicher Weise gefährden. An erster Stelle sind hier staatliche Bestrebungen zu nennen, die Integrität der öffentlichen IT-Infrastruktur zu untergraben. Staaten, die mit dem organisierten Verbrechen kollaborieren, um Schwachstellen in IT-Systemen ausfindig zu machen und für Cyber-Angriffe auf ihre jeweiligen Gegner zu nutzen, handeln unmoralisch und verantwortungslos. Dass dadurch in erheblichem Maße Steuergeld an Cyber-Kriminelle und indirekt wohl auch in den Schwarzmarkt für illegalen Drogen-, Waffen- und Menschenhandel fließt, könnte ethisch verwerflicher kaum sein. Darüber hinaus stellt diese Praktik jedoch auch eine nicht zu verantwortende Gefährdung der IT-Sicherheit dar. Unsichere IT-Systeme sind ein Einfallstor für staatliche wie nichtstaatliche Akteure gleichermaßen. Verantwortungvolle Politik sollte sich in erster Linie um die Sicherheit der Bevölkerung und nicht um die Verwundbarkeit ihrer Gegner sorgen. Dabei sind spektakuläre Angriffe im großen Stil wie das populär gewordene Stuxnet-Programm allenfalls die Spitze des Eisbergs. Nicht nur Armeen und Geheimdienste konkurrieren heute mit Cyber-Kriminellen um die besten Exploits, auch die Behörden zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung haben diese Waffe für sich entdeckt, und machen in ihren Programmen zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder Online-Durchsuchung davon Gebrauch. Das Risiko, das durch die universelle Verbreitung von unsicheren IT-Systemen in allen Lebensbereichen ausgeht, bin ich nicht gewillt zu tragen. Niemand, weder der Staat, noch Unternehmen, noch Kriminelle, sollte die Möglichkeit haben, ferngesteuert und unbemerkt mein Leben und mein Eigentum zu gefährden. Es muss eine bessere Möglichkeit geben, frei und sicher zu leben, als alles zu vermeiden, das irgendwie computergesteuert ist. Dazu muss sich der Staat aber entscheiden, ob er auf der Seite der Problemverursacher oder der Problemlöser stehen will. Damit das gelingen kann, muss zuallererst ein Totschlagargument verschwinden, das bisweilen nahezu jede einschlägige Debatte dominiert. Es lautet: Was sollte man denn sonst machen? Der Staat ist nicht zum Handeln um jeden Preis verpflichtet. Wenn es für ein Problem keine sinnvolle Lösung gibt, darf und sollte man das auch zugeben. Wenn sich der Staat jedoch zum Handeln entschließt, muss er sein Tun zwingend rechtsstaatlichen Prinzipien genügen und nach allen Grundsätzen, die unsere Verfassung ihm auferlegt, gerechtfertigt sein. Das ist entscheidend: Nicht der Bürger hat sich zu rechtfertigen, wenn er nicht Opfer staatlicher Willkür werden will, sondern der Staat hat zu rechtfertigen, weshalb er in die Rechte seiner Bürger eingreifen will. Dieses Prinzip ist eine unmittelbare Lehre, die die Väter unseres Rechtsstaats einst aus den Erfahrungen mit den Schreckensregiemen des 20. Jahrhunderts gezogen haben. Sie über Bord zu werfen, wäre das Unvernünftigste, das wir tun könnten. Anstatt die Freiheit gegen die Sicherheit auszuspielen, sollten wir erkennen, dass es häufig beide Werte sind, die gleichermaßen gefährdet sind. Weder Verbrecher noch Unrechtsstaaten haben ein Interesse daran, eines der beiden Güter zu schützen. Und der einzige Unterschied zwischen staatlichem und nicht-staatlichem Unrecht, das einem angetan wird, besteht darin, dass ersteres obendrein auch noch von den eigenen Steuern finanziert wird. Aktuell steht es weder um die Freiheit noch um die Sicherheit allzu gut. Getrieben von einer blinden Angst haben wir wahllos nahezu beliebige Freiheitseinschränkungen in Kauf genommen, die teilweise selbst wieder ein Sicherheitsrisiko schaffen, das danach wieder neue Maßnahmen rechtfertigen soll. Und diese Spirale dreht sich im Moment gefährlich schnell. Ich will es hier in aller Deutlichkeit sagen: Es ist nicht mehr Fünf vor Zwölf. Wir haben es bereits weiter kommen lassen, als es eine freiheitliche Demokratie auf Dauer ertragen kann. Anstatt Grundrechte gegen ihre schrittweise Zerstörung zu verteidigen, was den Prozess häufig allenfalls verlangsamt, ist es Zeit, sie wieder aktiv zurück zu erobern. Ein Land, in dem wir in Zukunft dauerhaft in Freiheit und Sicherheit leben können, braucht unseren entschlossenen Einsatz genau jetzt.